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Minirisiko, Riesenaufwand

Manchmal ist Nichtstun besser. Ein Gespräch mit dem Risikoforscher Wolfgang Kröger

die zeit: In den Medien grassiert die Angst vor Terroranschlägen. Wie sicher sind wir Europäer?

Wolfgang Kröger: Es gehört zur Strategie der Terroristen, möglichst viele Menschen überraschend und spektakulär zu treffen, um maximale Angst zu schüren und unsere freie, offene Gesellschaft zu destabilisieren. Deshalb wäre es töricht, sich in Deutschland oder in der Schweiz in Sicherheit zu wiegen. Wir dürfen uns jedoch nicht ins Bockshorn jagen lassen. Die Angst vor Terror darf nicht alles überlagern.

zeit: Kann uns besseres Risikomanagement schützen?

Kröger: Rezepte für den Umgang mit Risiken haben wir noch nicht, die Eröffnungskonferenz des neu gegründeten International Risk Governance Council (IRGC) findet erst am 29. Juni in Genf statt. Die teilweise überschiessenden Reaktionen nach Anschlägen haben jedoch verdeutlicht, dass wir dringend ein besseres Risikomanagement benötigen, und zwar supranational – denn in der vernetzten Welt haben Risiken verstärkt globale Auswirkungen. Das erfordert supranationales Handeln, mit mehr Ruhe und einem Überblick über die Gesamtheit der Probleme. Der IRGC stellt einen ersten Schritt dazu dar. Er wird präventiv Konzepte entwickeln – damit nicht, wie oft in der Vergangenheit, nur punktuell und krisengetrieben reagiert werden kann. Der IRGC möchte, dass Regierungen, Unternehmen und die Gesellschaft lernen, weniger reaktiv und mehr proaktiv mit Risiken umzugehen.

zeit: Könnten Sie dies konkretisieren?

Kröger: Unser Leben ist von vielen schwer fassbaren Risiken bedroht, von Altersprozessen, Krankheiten, Unfällen, Gewalt, Gift oder Strahlen. Ständig bewegen wir uns wie Halbblinde in einer komplexen Risikolandschaft, ohne adäquaten Überblick. An viele lebensgefährliche Risiken haben wir uns gewöhnt…

zeit: …während neue Bedrohungen wie Sars, BSE oder Lebensmittelgifte aufgebauscht werden.

Kröger: Deshalb ist eines unserer vorrangigen Ziele, eine Taxonomie der Risikolandschaft zu erstellen und Handlungsstrategien vorzuschlagen.

zeit: Um den Halbblinden beim Begreifen zu helfen?

Kröger: In gewissem Sinne schon. Wir müssen uns immer wieder fragen: Wissen wir genug über Risiken? Wo und wie können wir eingreifen? Die Reaktion kann durchaus auch in der Aufklärung bestehen, dass es manchmal sinnvoll ist, nichts zu tun. Wir müssen mit bestimmten Risiken leben lernen, weil ihre Bekämpfung viel zu aufwändig und vergleichsweise wenig effizient wäre. Eine absolute Sicherheit kann es nicht geben.

zeit: Beispielsweise gegenüber seltenen Infektionskrankheiten oder Terrorattacken?

Kröger: Ja. Hier ein Nullrisiko anzustreben wäre irrsinnig. Wir müssten dafür die Offenheit und Mobilität unserer Gesellschaft opfern, der Preis stünde in keinem Verhältnis zum Gewinn. Die Erfahrungen im Umgang mit Aids und Sars, mit Kern- und Gentechnik, Umwelt- und Lebensmittelskandalen lehren, dass Fehleinschätzungen von Risiken Milliarden kosten können, das gilt sowohl für Unter- als auch Übertreibungen. Wichtig für eine adäquate Einschützung ist ein vergleichender Rundumblick auf die Gesamtlandschaft der Risiken, möglichst aus einer Raumstation heraus, über Grenzen hinweg. Es ist oft erstaunlich, wie unterschiedlich Risiken in Industrieländern eingestuft werden, etwa die Nukleartechnik oder die grüne Gentechnik.

zeit: Eine ausgeruhte, supranationale Perspektive wird den schockierten Zeitgenossen, der wiederholt dramatische Bilder im Fernsehen beobachtet hat, kaum beruhigen. Er sagt sich doch: "Wenn mich dieser Krankheitskeim oder eine solche Bombe erwischt, bin ich tot."

Kröger: Richtig. Aber er ist auch dann tot, wenn sein Kreislauf versagt oder Krebs ihn überwuchert. Gewiss darf man Risiken nicht ohne psychosozialen Kontext mathematisch kühl gegeneinander aufrechnen. Aber man darf sich auch nicht auf das Bauchgefühl oder den Herdentrieb verlassen und auf Dauer hundert- oder tausendfache Unterschiede in der Gefährdung ignorieren. Der risikomündige Bürger, wie ihn das IRGC-Mitglied Ortwin Renn fordert, muss letztlich auch abwägen, wie er die begrenzten Mittel am besten einsetzt, die für die Risikoabwehr zur Verfügung stehen. Der Terrorismus ist keine Erfindung des neuen Jahrtausends. Die Gefahr, durch einen Anschlag zu sterben, ist in Europa oder in den USA nach wie vor sehr gering. Häufig sind in Medien und Politik intensiv thematisierte Risiken hundert- oder tausendfach geringer als die verdrängten, ganz alltäglichen.

zeit: Nennen Sie einige Beispiele.

Kröger: Die Wahrscheinlichkeit, innerhalb eines Jahres zu sterben, beträgt grob 1 zu 88, bezogen auf alle Ursachen, wobei Krankheiten die Hauptrolle spielen. Für Tod durch Krebs lautet die Relation 1 zu 360. Das Risiko für einen Mitteleuropäer, im Strassenverkehr zu sterben, beträgt 1 zu knapp 16000, bei einer Bergtour umzukommen 1 zu 25000, durch Freisetzung von Radioaktivität aus Kernkraftwerken hingegen unter 1 zu zehn Millionen.

zeit: Und wie hoch schätzen Sie das jährliche Risiko für Europäer, in einem Terrorakt umzukommen?

Kröger: Es liegt sicher deutlich unter 1 zu einer Million.

zeit: Könnte sich das nicht ändern durch perfide Anschläge bei Grossereignissen?

Kröger: Völlig auszuschliessen ist das nicht. Dann müssten wir uns überlegen, ob wir trotzig alle olympischen und internationalen Grossereignisse mit Riesenaufwand beschützen wollen oder auf solche Treffen gelegentlich verzichten können. Es ist typisch für unsere Zeit, dass die Spitzenschäden stark zunehmen. Die Anschläge des 11. September haben mit rund 3000 Toten und 40 Milliarden Dollar Verlust in eine neue Dimension geführt. Grosse Menschenansammlungen, die Verdichtung und Komplexität der Infrastruktur machen unsere Gesellschaft zunehmend verletzlich, allerdings nicht nur gegenüber Anschlägen. Ein gewaltiges Erdbeben, das eine Metropole wie Tokyo zerstört, hätte mit mehr als tausend Milliarden Dollar Schaden massive Auswirkungen auf die gesamte Weltwirtschaft. Die zunehmende Vernetzung birgt zwar grosse Chancen, aber eben auch Risiken. Denken Sie nur an die Zusammenbrüche riesiger Stromnetze in Nordamerika und Europa oder an die jüngsten Schäden durch Würmer und Viren, die sich durch das Internet verbreiten.

zeit: Was kann da die Risikoforschung zur Schadensbegrenzung beitragen?

Kröger: Wir müssen vermehrt über stabilisierende Inseln in den Netzen nachdenken. Ähnlich wie Krankenhäuser, Rettungsdienste, Kernkraftwerke oder das Militär eigene Notstromaggregate haben und bei einem Blackout funktionsfähige Inseln bilden, wird man in der Informationstechnik noch mehr über geschützte Zentralserver nachdenken müssen.

zeit: Ist dann das offene Internet perdu?

Kröger: Nein, aber die Übertragungsgeschwindigkeit dürfte leiden, während die Kosten steigen. Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif, deshalb achtet ein vernünftiges Risikomanagement auch auf Kosteneffizienz. Diese wird häufig ignoriert.

zeit: Wo zum Beispiel?

Kröger: Es gibt lange Listen darüber, etwa vom Harvard Center for Risk Analysis, wie viel ein gerettetes Lebensjahr kostet. Extrem effizient sind beispielsweise Impfungen in der Dritten Welt, da kostet ein gerettetes Lebensjahr teilweise weniger als einen Dollar.

zeit: In den Industrieländern dürfte es wesentlich teurer werden.

Kröger: Ja. Als kostengünstig gelten beispielsweise Feuermelder in Häusern, die auf Rauch und Hitze ansprechen. Da schlägt ein gerettetes Lebensjahr mit etwa 8000 Dollar zu Buche. Der Flammschutz für Kinderkleider frisst 15 Millionen Dollar, der Schutz vor Radioaktivität aus Kernkraftwerken oder chemischen Verunreinigungen von Lebensmitteln verschlingt weit über hundert Millionen Dollar, um ein Lebensjahr zu retten. Astronomisch hoch, da ohne evidenten Nutzen, wird nach diesem Ansatz der von der Mehrheit der Bevölkerung, Medien und Politikern in Europa geforderte Schutz vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln, die notabene aufwändige Prüfungen und Zulassungsverfahren durchlaufen haben. Sie sehen, es gibt noch Aufklärungsbedarf.

Die Fragen stellte Hans Schuh






International Risk Governance Council (IRGC)
Eine unabhängige Gesellschaft, die unter anderem Regierungen oder Organisationen in der Entwicklung der Riskoüberwachung unterstützt. »»



 

 


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